Schneller als das Licht?
von
Klaus Simmering

Filmmanuskript des gleichnamigen Filmes, gesendet auf Bayern 3 im Rahmen von SPACE NIGHT
© 1999 Klaus Simmering



Ich weiß nicht, wie oft ich in den letzten Wochen diese Melodie gehört hatte. Unglaublich oft. Sie ging mir nicht mehr aus dem Kopf: Mozarts 40.Symphonie in g - Moll. Doch es lag nicht an der Musik. Die Kassette selbst war ein Beweisstück. Der Beweis dafür, daß geht, was doch nach Einstein - dem bedeutendsten Physiker unserer Zeit - als unmöglich gilt: Schneller zu sein als das Licht !

Der Traum: Reisen zu fernen Galaxien. Raketen, Raumschiffe - millionenfach schneller als alles, was es heute gibt. Überlichtgeschwidigkeit wie im Science Fiction. Der sehnsüchtige Blick in die Sterne. Der Wunsch, sich das Universum nicht nur als stiller Beobachter zu erschließen, sondern selbst dort hinzureisen.
    Aber alles ist so weit weg ! In kosmischen Dimensionen ist selbst das Licht mit seiner Geschwindigkeit von 300.000 km/s lahm. Selbst mit Lichtgeschwindigkeit dauert eine Reise zu fremden Galaxien Milliarden von Jahren. Unerreichbar fern! Wenn wir auf die Lichtgeschwindigkeit angewiesen sind, dann kommen wir nicht weit. Der Kosmos - verschlossen durch eine unsichtbare, aber unüberwindliche Grenze, die uns für immer in unserem kleinen Teil des Universums gefangen hält.
    Selbst wenn wir nur über Radiowellen mit fremden Wesen auf anderen Sternen in Kontakt treten wollten - Jahrzehnte, Jahrhunderte oder gar Jahrmillionen würden vergehen, bis unsere Botschaften dort empfangen werden könnten. Und noch einmal so lange müßten wir auf eine Antwort warten. Bei Lichtgeschwindigkeit ! Doch die Lichtgeschwindigkeit ist das ultimative Tempolimit, die absolute Grenze. Nichts, aber auch gar nichts kann schneller sein. Das - so hatte ich es gelernt - sagte der wohl berühmteste Physiker unserer Zeit: Albert Einstein.
    Doch andererseits: Ich hatte da diese Kassette.....Der Beweis dafür, daß meine Science Fiction Träume doch einmal wahr werden könnten?

Angefangen hat alles in Deutschland, in Köln, an der Universität, im 2.physikalischen Institut, bei Prof. Günter Nimtz, einem experimentellen Physiker, der behauptet, die Lichtgeschwindigkeit überschritten zu haben. Nicht im Weltraum, sondern in solchen Rohrstücken, die aussehen, als hätte der Klempner sie hier vergessen. Keine Raketenmotoren, keine geheimnisvollen Lichtblitze. Es ist völlig unspektakulär.
    Was Prof. Nimtz mir hier zeigt, sind Hohlleiter - Leitungen für Radiowellen von besonders hoher Frequenz: Mikrowellen, wie beim Mikrowellenherd oder beim Satellitenfernsehen. Absolut nichts ungewöhnliches. Das einzige besondere: Das gelbe Stück in der Mitte dieses Rohrs. Prof. Günter Nimtz, Universität Köln: „Und wenn Sie jetzt hier durchschauen, dann sehen Sie diese Barriere, die Querschnittsverengung.“
    Wirklich nur ein Rohr. In der Mitte, auf dem gelben Stück, mit einem kleineren Durchmesser. Kein Trick. Doch in dem mittleren Stück, das Prof. Nimtz den „Tunnel“ nennt, geschehen obskure Dinge: Die Mikrowellen, die er da durchschickt, werden auf den schmalen 8cm schneller als das Licht. Vor laufender Kamera wiederholt das Wissenschaftlerteam Prof. Nimitz und Dr. Enders das entscheidende Experiment.

Am Anfang steht eine Zeitmessung. Zum Vergleich ohne das enge Tunnelstück. Die Mikrowellen gehen ungehindert durch den Hohlleiter. Äußerste Präzision. Meßgeräte an ihrer physikalisch Grenze. Hier geht es nicht wie beim Sport um Hundertstel Sekunden, sonder um Billionstel - den millionsten Teil einer Sekunde. Das Ergebnis wird abgespeichert.
    Und jetzt kommt der ominöse Tunnel ins Spiel. Prof. Nimtz erklärt mir das so: Mikrowellen brauchen einen genügend dicken Hohlleiter, damit sie hindurchkönnen. Auch wenn man durchgucken kann - nicht jede Welle paßt durch jeden Querschnitt. Für die Wellen, die er verwendet, ist das schmale Hohlleiterstück eigentlich zu eng. Nur wenn sie sich verwandeln - eben tunneln - dann gelangen sie an das andere Ende. „ Wir verlängern diese Strecke um 8 cm und messen dann, wie lange hat diese Signal gebraucht, um die 8 cm Tunnelstrecke zu überqueren.“
    Das Signal muß enorm verstärkt werden, denn hinter dem Tunnel kommt auch noch etwas an. Die beiden Kurven zeigen den Signalverlauf mit und ohne Tunnelstrecke. Wieviel Zeit ist vergangen, während die Mikrowellen die 8 cm lange Strecke durchtunnelt haben? Die Kurven liegen dicht beieinander. Das Signal muß schnell gewesen sein im Tunnel. Sehr schnell ! Prof. Günter Nimtz: „Das sind 266 Picosekunden und die Tunnelstrecke hat 133 Picosekunden, d.h. die Gruppe ist 2 c, die Gruppe, das Paket ist also mit 2-facher Lichtgeschwindigkeit durch diese Tunnelstrecke marschiert.

Was für so viel Aufregung sorgt, sehen sie mittlerweile gelassen, die beiden Experimentatoren - und sie haben ihren Spaß dabei, noch eins draufzusetzen: Musik - also Informationen - wollen sie mit Überlichtgeschwindigkeit durch den Tunnel schicken: Mozarts 40.Shymphonie. Die Musik von der CD soll sozusagen Huckepack von den Mikrowellen mitgenommen werden, nicht anders als beim UKW-Radio - aber mit Überlichtgeschwindigkeit.
    Das Experiment soll beweisen, daß beim überlichtschnellen Tunnel nicht nur Müll am anderen Ende ankommt, wie bisher gedacht, sondern daß auf diesem Wege Informationen übertragen werden können. Doch noch sieht es nicht danach aus.
    So unscheinbar das kleine Stück Rohr aussieht, es gibt Rätsel auf. Was genau darin passiert - niemand weiß das hundertprozentig. Schon lange, seit den 50er Jahren, gibt es Berechnungen, die überlichtschnelle Geschwindigkeit vorausgesagt haben. Weil das aber Einstein zu widersprechen schien, wurden sie so lange verändert, bis schließlich doch höchstens Lichtgeschwindigkeit dabei herauskam. Fällt jetzt das Idol ? Es klappt ! Für Prof. Nimtz beweist dies: Das Tunneln von Informationen mit Überlichtgeschwindigkeit ist möglich. In weiteren Messungen mit längeren Tunnelstrecken sogar nicht nur mit doppelter, sondern mit 4,7-facher Lichtgeschwindigkeit.
    Doch das tollste ist : Prof. Nimtz sieht damit Einsteins Relativitätstheorie gar nicht als widerlegt an. Prof. Günter Nimtz:

Das ist ja gerade das Aufregende. Wir behaupten nicht, daß die Relativitätstheorie da jetzt zu Fall gebracht wird. Keineswegs, die hat nach wie vor, zumindest für die normalen Bereiche ihre Gültigkeit. Normal nenne ich, wo Wellenausbreitung stattfindet. Aber es kann sein, daß das Tunneln sich akausal verhält. Daß sie also nicht sagen können und unsere Experimente haben das so gezeigt, daß wir nicht wissen, ob am Eingang oder am Ausgang das Signal zuerst ist, weil es eben im Tunnelbereich keine Zeit benötigt. Und das ist ja der Grund, warum es schneller sich durch den Tunnel bewegt als die Lichtgeschwindigkeit.
Gut, ich halte fest: Schneller als das Licht, aber nicht im Widerspruch zu Einstein, weil der sich mit dem Tunneln gar nicht beschäftigt hat.

Ich fahre nach Jülich. Dort steht das COSY, das Cooler Synchroton, eine riesige Anlage, in der mit so viel Energie, wie eine ganze Stadt verbraucht, atomare Teilchen auf 98% der Lichtgeschwindigkeit beschleunigt werden. Mehr geht nicht. Auch mit der doppelten und dreifachen Energie würde man kaum weiter kommen.
    Hier treffe ich Prof. Eilenberger, der auf die Veröffentlichungen von Prof. Nimtz direkt geantwortet hat und bezweifelt, daß in Köln tatsächlich Informationen mit Überlichtgeschwindigkeit übertragen wurden.

Reporter: „Nun hat Prof. Nimtz ja Informationen übertragen, Mozarts 40. Symphonie kann man ja als Information bezeichnen.“
Prof. Gert Eilenberger: „ In der Tat kann man das als Information bezeichnen, es ist Information. Aber auch da muß man sich sehr genau ansehen, was er eigentlich gemacht hat, denn es geht ja nicht darum, daß er behauptet, Informationen mit Überlichtgeschwindigkeit übertragen zu haben, sondern er hat dieses Experiment mit bestimmten Wellen gemacht, eben elektromagnetischen Wellen, die im Grunde genommen etwa seit 130 Jahren verstanden sind durch den großen englischen Physiker Maxwell, der eben die Maxwell’schen Gleichungen für die elektromagnetische Ausbreitung entdeckt hat.
    Und diese Gleichungen, die das beschreiben, sind sehr gut verstanden, und es ist auch verstanden, daß diese Ausbreitung nicht schneller als mit Lichtgeschwindigkeit erfolgen kann, d.h. wenn Herr Nimtz behauptet, er habe Überlichtgeschwindigkeit in der Signalausbreitung nachgewiesen, dann bestreitet er nicht nur die Richtigkeit der Einstein’schen Grundaussagen, sondern er würde sogar die Richtigkeit der Maxwell’schen Gleichungen bestreiten, auf denen außerordentlich viel beruht.
    Die gesamte Elektrotechnik beruht darauf, das Funktionieren von Sendern, Radaranlagen, Röntgenanlagen, all dieses beruht auf der Maxwell’schen Theorie.“
Reporter: „ Was wäre, wenn er recht hätte ?“
Prof. Gert Eilenberger: „ Die Frage kann man in der Allgemeinheit nicht beantworten, was die Konsequenzen für die Physik betrifft. Man kann natürlich sagen, wenn er wirklich recht hätte, dann wäre ihm der Nobelpreis sicher.“
Reporter: „ Sie glauben aber nicht, daß es so weit kommt ?“
Prof. Gert Eilenberger: „Nein“
Ich muß zugeben: Ich bin verwirrt. Ist sich die Physik nicht einig? Keiner bestreitet die Messungen in Köln. Aber die Interpretation ? Auf einer Tagung in Bielefeld hoffe ich Klarheit zu finden. 300 hochkarätige Wissenschaftler aus aller Welt sind hier versammelt. Eines der wichtigsten Themen ist die Interpretation von Messungen. Schließlich bestimmt die Methode, was dabei herauskommt. Es geht um Grundsätzliches. Auch Philosophen sind dabei. Seit langer Zeit ungewöhnlich für eine Physikertagung. Die Positionen gehen weit auseinander. Ein heftiger Streit. Ebenfalls ungewöhnlich für eine Physikertagung. Auch um die Überlichtgeschwindigkeit geht es hier.
Frage an Prof. Dürr, Mathematiker aus München, der die Veranstaltung organisiert hat: „Ich habe hier eine Kassette, da ist Mozarts 40. Symphonie drauf, die ist getunnelt worden mit 4,7-facher Lichtgeschwindigkeit. Geht das ?“
Prof. Detlef Dür:„ Nein das geht nicht. Diese Symphonie von Mozart ist Information, außer Frage. Man kann Information aber nicht mit Überlichtgeschwindigkeit senden.“
Reporter: „Aber Prof. Nimtz sagt, daß er das getan hat.“
Prof. Detlef Dürr: „ Das liegt daran, daß er nicht weiß, was er wirklich getan hat. Er hat keine Informationen mit Überlichtgeschwindigkeit gesendet, ganz sicher nicht, das widerspräche der relativistischen Raum-Zeit.“
Schon seit längeren Zeit war ich über elektronische Post mit einem erfolgreichen jungen deutschen theoretischen Physiker in Kontakt, der auf der anderen Seite der Erde arbeitete - in Australien. Ich nutzte die Gelegenheit ihn zu treffen, als er einige Tage an der Universität in Mainz war. Sollte er den Widerspruch lösen können? Dr. Kreimer kannte die Experimente von Prof. Nimtz genau.
    Auch er, erzählt er mir, war zunächst äußerst skeptisch. Aber dann fand sich für ihn ein theoretischer Lösungsansatz, wie die Musik schneller als das Licht durch den Tunnel kommen kann. Eine wissenschaftliche Arbeit, die ebenfalls in Köln entstanden war.
Prof. Dirk Kreimer, Theoretischer Physiker: „Das war der Thorsten Ehmig von der Uni Köln, der hat sich im wesentlichen Gedanken gemacht über das Tunneln von Gauss’schen Wellenpaketen. Wir sind sehr vertraut damit, daß in einem Wellenzug alle möglichen Komponenten drin sind, Vorläuferwellen, allermöglicher Müll sozusagen, das geht rein, das wird bei diesem Tunneln sozusagen zerstört.
    Da gibt es Dinge, die breiten sich instantan (sofort) aus; das sind aber keine Informationsträger, das ist irgendein Müll, der geht sozusagen da schnell durch, der interessiert uns aber nicht weiter, das ist sozusagen Rauschen, das ist kein Signal.
    Wenn diese Rechnung stimmt, dann zeigt sich aber, daß dieser Müll sich sozusagen verschwört, um das Signal, das am Anfang rein geht, doch zu einem Maße zu reproduzieren, daß ich es wiedererkennen kann am anderen Ende der Tunnelstrecke, d.h. dieser Müll ist plötzlich diese Musik, die hier durchkommt.
    Das ist erstaunlich und diese Rechnungen hier sind nur ein Anfang in dem Sinne, daß sie nur mit einem vereinfachten Modell arbeiten und erst mal nur ein bestimmtes Signal untersuchen, was mathematisch eine sehr einfache Form hat, so daß es von der Rechnung her zugänglich ist. Und trotzdem verblüfft dieses Ergebnis schon.“
Noch immer gab es Zweifel. Zu heftig waren die Widersprüche. Ich suchte nach einer weitere Bestätigung, die die Verwirrung vielleicht auflösen könnte. Ich war auf der Fahrt nach Wien. Dort erwartete mich nämlich ein weiteres Experiment. Es geht tief hinunter in die Keller der technischen Universität. Hier hat die Abteilung für Quantenelektronik und Lasertechnik ihre Labors.
    Prof. Krausz, selbst erst 33 Jahre alt, leitet ein junges Wissenschaftler - Team, das sich mit sehr kurzen Laserimpulsen beschäftigt. Als er von den überlichtschnellen Phänomen hörte, war für ihn klar, daß dies ein ideales Anwendungsgebiet für das Herzstück seiner Entwicklungarbeit ist: Einem Laser, der die kürzesten Lichtimpulse der Welt aussenden kann. Die würde er durch einen Tunnel schicken. Weil die Impulse so kurz sind, würde dabei eine äußerst genaue Zeitmessung möglich sein.
    Der Tunnel sieht ganz anders aus als der in Köln. Schließlich ist es eine Barriere für Laserstrahlen und nicht für Mikrowellen. Für Laserstrahlen - wie für jedes Licht, ist ein Spiegel eine solche Barriere. Er reflektiert. Trotzdem tunnelt hier ein gewisser Anteil des Lichtes durch den Spiegel durch.
    Genau darum geht es. Wie schnell wird das Licht, wenn es durch diesen Tunnel geht ? Der Strahlengang wird mit Nebel aus flüssigem Stickstoff überprüft. Er ist kompliziert, denn der Strahl, der durch den Spiegel-Tunnel geht, wird verglichen mit einem Strahl, der durch die Luft geht.
    Nach einigen Stunden präzisester Einstellarbeiten steht das Ergebnis fest. In Wien wird die Messung von Überlichtgeschwindigkeit voll bestätigt.
Prof. Ferenc Krausz, TU Wien: „ Was wir hier beobachten können ist eine deutliche zeitliche Verschiebung des einen Signals gegenüber dem anderen, und aus diesem Zeitunterschied können wir die Zeit errechnen, die unser Lichtimpuls in der Tunnelstrecke verbringt.“
Reporter: „ Und welche Geschwindigkeit haben Sie daraus errechnet?“
Prof. Ferenc Krausz: „ In etwa die 3-fache Lichtgeschwindigkeit.“
Genauso wie zuvor in Köln zeigt sich auch in Wien: So lang auch der Tunnel ist, die Zeit, die der Strahl braucht, um ihn zu durcheilen, bleibt immer gleich: Null. Im Tunnel vergeht keine Zeit.
Prof. Ferenc Krausz: „Man könnte wenigstens ein Gedankenexperiment durchführen, indem man die Tunnelstrecke unendlich ausdehnen würde und gleich der Ausdehnung des Universums machen würde. Daraus würde sich dann das Resultat ergeben, daß diese unendlich lang ausgedehnte Tunnelstrecke quasi instantan (sofort) durch die Lichtimpulse überwunden wird. Allerdings dafür müßte man natürlich einen sehr sehr hohen Preis zahlen, und zwar, was wir am Ende der Tunnelstrecke rausbekommen wäre ein praktisch unmeßbar kleines Signal.“
Von hier nach dort in Null Sekunden. Bestechend. Aber die quasi illegale Geschwindigkeit muß bezahlt werden. Bestechungsgelder sozusagen. Alle wissenschaftlichen Arbeiten dazu kommt zu diesem Ergebnis. Sehr schnell nimmt mit längerer Tunnelstrecke das Signal ab. Nur ein Bruchteil kommt an.

Ich war froh, im Flugzeug zu sitzen, statt instantan durch einen Tunnel zu eilen. Ich war auf dem Weg nach Berkeley in den USA, nicht weit von San Francisco. Auch dort beschäftigt man sich mit dem Tunnel von Licht und kommt zu überlichtschnellen Ergebnissen. Eine weitere Bestätigung für die Messung in Köln.
    Und noch mehr, wie sich später herausstellen sollte. Ich treffe dort Prof. Raymond Chiao, einen Chinesen, der schon seit den 60er Jahren in Berkeley ist. Eine Universität, die Nobelpreisträger wie am Fließband produziert. Der Ansporn ist hoch: Mit dem Nobelpreis bekommt man einen kostenlosen Parkplatz auf dem Unigelände.
    Prof. Chiao, scheint mir, ist auf dem besten Weg dorthin. Prof. Chiao und sein Team tunneln mit einzelnen Photonen, den kleinsten Teilchen, aus denen das Licht besteht. Das muß in absoluter Dunkelheit passieren - schon das bißchen Licht für unsere Kamera ist eigentlich zuviel.
    Quelle für die schwächsten Lichtteilchen, die es überhaupt gibt ist ein Laser. Prof. Chiao ist ein Schüler des Erfinders der Lasertechnik, ein Nobelpreisträger, der sein Büro gleich nebenan hatte. In dem Tunnel - ein hauchdünner Spiegel - erreichen die Photonen fast zweifache Lichtgeschwindigkeit - ohne, wie auch Prof. Chiao ausdrücklich betont, Einsteins Gesetz zu verletzen. Was sich durch diese Scheibe bewegt, sind eben keine Wellen. Und nur damit hat sich Einstein beschäftigt.
    Von Informationen ist bei Prof. Chiao allerdings keine Rede. Da es absolut zufällig ist, wann eines der Lichtteilchen durch die Barriere dringt - und wann nicht - sind damit keine Informationen zu übertragen. In Berkeley verfolgt man eine andere Richtung: Hin zu immer höheren Geschwindigkeiten - so hoch, daß einem dabei schwindelig werden kann.

Reporter: „Vor zwei Jahren dachten wir noch, nichts könnte schneller als das Licht sein - oder besser: Wir haben nichts beobachten können, das schneller als das Licht ist. Jetzt geht es um zweifache Lichtgeschwindigkeit. Wie schnell kann es noch werden ?“
Prof. Raymond Chiao, University of California, Berkeley: „Jetzt glauben wir, es kann unendlich schnell sein, oder sogar negativ. Gruppengeschwindigkeiten mit denen wir hier in Berkeley arbeiten, in einem speziellen Medium - ich sollte betonen das ist theoretisch und nicht im Experiment - dort können wir Impulse mit unendlicher Geschwindigkeit beobachten, oder sogar mit negativen Geschwindigkeit. „
Reporter: „Was bedeutet das - negative Geschwindigkeiten ?“
Prof. Raymond Chiao: „Negative Geschwindigkeit, das heißt, bevor die Spitze eines Impulses den Eingang des Mediums erreicht, hat sie schon den Ausgang am anderen Ende verlassen. Als wenn der herauskommende Impuls vor der Zeit wüßte, daß am Eingang etwas ankommen würde.“
Reporter: „Heißt das, die Zeit geht rückwärts ?“
Prof. Raymond Chiao: „Nun, das heißt es geht ein Impuls zurück in dem Medium und löscht den ursprünglichen Impuls aus. Und zwar genau so - es ist wie eine Vorahnung daß er kommen wird - so daß der herausgehende Impuls eine perfekte Reproduktion des ursprünglichen Impulses ist. Nur daß er schon vorher herauskommt. Das ist ein sehr merkwürdiger Effekt. Aber das geht aus der Standard-Theorie von Maxwell und der Quantenmechanik hervor. Wir werden hier in Berkeley ein Experiment aufbauen, um diesen äußerst merkwürdigen Effekt zu demonstrieren.“
Wir konnten es noch nicht sehen, denn Prof. Chiao’s Experiment ist noch nicht fertig. Aber in dieser Zelle soll es passieren. Geschwindigkeiten schneller als unendlich. Der Puls kommt eher an als sofort. Eine Vorahnung. Nichts mystisches, sondern pure Physik. Prof. Chiao ist sicher, daß das Experiment gelingen wird. denn in der Theorie, sagt er, ist längst alles klar.
Prof. Raymond Chiao: „Im Prinzip hätte man das alles schon nach der Erfindung des Lasers durch meinen alten Lehrer, Prof. Charles Townes und andere, berechnen können. Nachdem man das Prinzip des Lasers verstanden hatte, hätte man all diese Berechnungen machen können, schon damals in den 60er Jahren. Aber aus bestimmten Gründen blieb das lange unentdeckt, vielleicht wegen unseres Vorurteils, daß nichts schneller als das Licht sei könne. Das hat uns blind gemacht gegenüber diesen Möglichkeiten. Deshalb ist es so wichtig, diese Experimente zu machen, um zu zeigen daß es wirklich geht: Doppelt so schnell wie das Licht, vierfach, unendlich schneller, sogar negative Geschwindigkeiten, die schneller als das Licht sind."
Später am Abend konnte ich mir die Frage nicht verkneifen, ob sich außer Licht und Mikrowellen nicht auch Materie mit Masse und Gewicht mit Überlichtgeschwindigkeit bewegen kann. Auch nach allem, was ich bisher gesehen hatte - die Antwort war für mich absolut überraschend.
Prof. Raymond Chiao: „Teleportation ist wirklich möglich in der Quantenmechanick, für mikroskopische Teilchen wie Photonen oder Elektronen, vielleicht eines Tages sogar für Atome. Aber derzeit ist es praktisch unmöglich für große Dinge, wie zum Beispiel Menschen...wie in dieser Fernsehserie Star Trek, wo Leute an einer Stelle verschwinden und woanders wieder auftauchen. Makroskopische Dinge haben eine sehr große Masse. Für alle praktischen Anwendungen ist das unmöglich. Beim Tunneln: Niemals wird ein Mensch durch eine Wand auf die andere Seite tunneln.“
Reporter „Die Wahrscheinlichkeit ist sehr gering...“
Prof. Raymond Chiao: „Aber nicht Null.“
Reporter: „Nicht Null !?“
Prof. Raymond Chiao: „Nein, aber extrem gering.
Ich werde wohl nie wieder durch einen Tunnel fahren können, ohne zu grübeln. Zu viele Fragen hängen daran. Selbst die nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest. Auch wenn es nur im Mikrokosmos funktioniert: Gleichzeitig am Anfang und am Ende - ohne Zeitverlust. Das läßt Platz für Spekulationen: Geraten nicht Ursache und Wirkung durcheinander, wenn nicht das eine auf das andere folgt ? Regiert hier der Zufall ? Ist der Tunnel akausal, wie der Physiker das nennt ?
Prof. Günter Nimtz: „Ich weiß beim besten Willen im Moment nicht, ob Tunneln kausal oder akausal ist. Ich weiß nur, daß im Moment keine endgültige Theorie vorliegt, die die Kausalität des Tunnel-Prozesses bestätigt. Auf der anderen Seite ist es eine hochbrisante Frage philosophischer Natur - Entstehung des Weltalls. Es wird hier behauptet, daß der Kosmos durch den Urknall entstanden sei, hinter dem ein Tunnel-Prozeß liegt, also die Welt ist entstanden durch einen Tunnel- Prozeß von dem einen Zustand in unseren Zustand. Und jetzt stellt sich die Frage: Hat die Welt einen Grund - ist sie kausal oder ist sie rein zufällig entstanden - ist sie akausal ?“
Ein befremdlicher Blick auf die Welt. Aber war das nicht immer so, wenn Neues entdeckt wird ? Die Reise an die Grenzen der Physik ist ein Abenteuer, das mehr Fragen als Antworten liefert. Das einzige sichere ist: So wird es bleiben.